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Impuls zum 30. Januar 2022

Zum 4. Sonntag im Jahreskreis

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Liebe heute?
Ganz aktuell: Erschreckend, juristisch nüchtern, die Meldungen aus München: Sexuelle Verbrechen, Missbrauch von Macht, verlogene Hierarchie: „Bei euch soll es nicht so sein“ (Mt 20,26) Die Opfer missachtet: Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr auch mir getan. (vgl. Mt 25, 40.45) 

Liebe heute!
1 Kor 12,31b-13:
„Schwestern und Brüder, ich zeige euch einen überragenden Weg:
Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.
Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.
Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden hat ein Ende. Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht.
Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden;
Wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.
Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war.
Jetzt schauen wir wie in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“

„Das Hohe Lied der Liebe“ so wird der heutige Text aus dem Korintherbrief oft genannt. Oft wird dieser Text zur Trauung ausgewählt. Das scheint naheliegend. Doch diese Liebe geschieht nicht nur im ehelichen Schlafzimmer und im trauten Miteinander, sondern mitten in unserer Welt. Diese Liebe geht uns alle an. Deswegen Vorsicht! Denn die Liebe, von der hier gesprochen wird, ist nie fertig, sondern muss Tag für Tag neu entstehen und gelebt werden. Sie soll sich morgen und übermorgen bewahrheiten, sie muss alltagstauglich sein. Sonst ist sie nur Flucht für ein paar schöne Stunden. Denn so einfach ist es mit diesem Hohen Lied der Liebe nicht. Wenn wir alles könnten und täten, hätten aber die Liebe nicht, dann wäre alles andere nichts, sagt Paulus. Da stehen große Worte:

„Die Liebe sucht nicht ihren Vorteil.“ Werden wir nicht erzogen, unseren Vorteil zu suchen? Ganze Wirtschaftstheorien bauen darauf: „freie Marktwirtschaft“. Es wird uns gesagt: Nur wenn jeder seinen Vorteil sucht, setzt er alle Kraft ein, um das Beste zu erreichen. Das ist dann auch das Beste für die ganze Gesellschaft. Aber was geschieht mit denen, die dann im Konkurrenzkampf ausgegrenzt werden? Was ist mit denen, die wenig beizusteuern haben oder denen es verwehrt wird, das Ihre mit einzubringen, weil sie arbeitslos sind oder ihnen das Recht auf Bildung und Gesundheit verwehrt wird? Das gilt nicht nur für die Einzelnen, sondern für viele Völker auf dieser Erde. Ich denke da nur an die ungerechte Verteilung der Impfstoffe gegen Corona. Die Erziehung zum Egoismus im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich führt zur sozialen Kälte, zur wachsenden Ungerechtigkeit in unserer Welt, zur „sozialen Sünde“, wie uns die Befreiungstheologie gelehrt hat. Wer kann sich diesem Sog entziehen? Doch die Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil, sondern den Vorteil für die anderen, für die ganze Gesellschaft. Das gilt auch vom Impfen gegen Corona.

„Die Liebe trägt das Böse nicht nach.“ Wir möchten schon, dass andere uns nicht das Böse nachtragen, in das wir vielleicht verwickelt sind. Aber wir nageln oft die anderen auf ihre Fehler fest. Mobbing heißt das im Kleinen, Krieg im Großen, aber nur Krieg der Stärkeren gegen die Schwächeren oder gegen die, die man für schwächer hält. Unschuldige Opfer sind mit einkalkuliert. „Das Böse“ sind immer die anderen. Ich bin dann „der Gute“, eine simple Aufteilung der Welt in Schwarz und Weiß, im Kleinen wie im Großen. Das Böse nicht nachtragen? Das ist nur Schwäche! Das Böse vernichten! Die Schwachen ausgrenzen! Sie interessieren uns nicht. Wir sind eben nur Passanten, Zuschauer, nicht Beteiligte, schon gar keine Täter. So lautet vielfach die Devise. Doch so werden wir faktisch selber für die anderen zum Unheil. Die Liebe trägt das Böse nicht nach. „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern überwinde das Böse durch das Gute.“ (Röm 21,21)

„Die Liebe ist langmütig.“ Was soll das heißen in unserer kurzlebigen Zeit? Langen Mut haben, um aneinander festzuhalten, das ist nicht nur in vielen Ehen schwierig, sondern in vielen menschlichen Beziehungen.  „Langmütig“ heißt nicht: schwächlich nachgeben und Böses übersehen.  Langen Mut haben heißt: Geduld, nachdenken, neue Wege zum anderen finden, keinen fallen lassen; politisch auf diplomatischen und politischen Wegen das Unheil einzudämmen versuchen. Das passt nicht in unsere Zeit, die morgen den Erfolg sehen will. Von den Opfern der Gewaltpolitik im Kleinen lesen wir selten in unseren Zeitungen. Die Opfer der Kriegspolitik können wir im Irak, in Afghanistan, in Syrien, Israel/Palästina und anderswo nur erschrocken zur Kenntnis nehmen. Deutschland gehört zudem zu den größten Waffenexporteuren der Welt. „Wir“ verdienen daran, anderswo wird mit unseren Waffen gemordet. Gewalt führt nicht zum Frieden. Das sollte nach dem Scheitern in Afghanistan allen klar sein. Die langmütige Liebe zielt auf gewaltlose Konfliktlösung im Kleinen wie im Großen. Die langmütige Liebe dient dem Frieden, der alle leben lässt.

„Die Liebe freut sich nicht am Unrecht; sie freut sich an der Wahrheit.“ Wir freuen uns doch nur an der Wahrheit, wenn sie uns nützt. Sonst suchen wir sie zu verstecken. Das zeigt sich nicht nur in den Korruptionsskandalen und geheimen Konten in der Schweiz und anderswo, sondern auch an der gezielten Volksverdummung durch Reklame und an den PR-Redaktionen im Vorfeld und bei der Durchführung von Kriegen. Was „Wahrheit“ ist, bestimmen die Mächtigen oder heute die sozialen (?) Medien. Wir wissen oft nicht, was Wahrheit ist. Wer kann noch unterscheiden zwischen Fake News und Wahrheit? Dies hat auch seine Varianten im privaten Raum. Freuen wir uns an der Wahrheit? Sind wir bereit, die Unwahrheit offen zu legen, damit sie überwunden werden kann?

Doch unsere Kirche muss da mit ihrer Kritik sehr still sein: sie hat die Wahrheit über die sexuellen Verbrechen von Priestern und Ordensleuten nicht wahrhaben wollen, sondern vertuscht, um das Image der Kirche zu retten, und damit hat sie die Opfer ein zweites Mal verletzt (s.o.). 

„Die Liebe hält allem Stand.“ Das heißt für die Ehe: Ich bin dem Partner, der Partnerin Fundament, auf das er oder sie bauen kann, auch wenn es nur Kartenhäuser sein sollten. Keiner von beiden muss Angst haben, dass der andere/die andere das Fundament wegzieht und den anderen/die andere ins Leere fallen lässt. Liebe kennt keine Resignation. Sie kann immer wieder neu beginnen. Das gilt auch für unser alltägliches Miteinander. Liebe deine Feinde, sagt Jesus. Das heißt nicht, dass ich sie emotional umarmen soll, sondern dass die Feinde wissen, dass ich ihnen auf Augenhöhe begegnen, mit ihnen um eine gemeinsame Zukunft ringen will, in der wir gemeinsam menschenwürdig und in Frieden leben können.

So könnten wir die einzelnen Sätze über die Liebe durchgehen: Sie passen nicht in unsere Zeit. Im Traugottesdienst ist es vielleicht leicht, darüber zu reden. Aber der Alltag ist oft anders. Doch was hängt an dieser Liebe? „Wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“ An der Liebe hängt alles, sagt Paulus. Sind die Sätze des Hohen Liedes der Liebe nicht zu groß für uns Menschen?

Stückwerk
Auch Paulus scheint das gespürt zu haben. So spricht er im Anschluss an seine Worte über die Liebe darüber, dass wir nur Unvollkommenes zustande bringen in unserem Erkennen, Reden und Handeln, auch in unserer Verkündigung. „Denn Stückwerk ist unser Erkennen; Stückwerk ist unser prophetisches Reden.“ Wir dürfen hinzufügen: Stückwerk ist unser Leben, auch unsere Liebe, nie fertig. All unsere Glaubensaussagen, auch unsere Dogmen, sind Stückwerk, Annäherungen an die Wahrheit, nicht die Wahrheit selbst. Auch die Kirche ist Stückwerk. Unser Leben ist Stückwerk, das auf die Vollendung hofft: „Dann werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt bin.“  „Erkennen“ heißt liebend einswerden.

So sind die großen Worte über die Liebe kein Gericht über uns, sondern Einladung, uns von diesen Worten bewegen zu lassen, unserem Leben immer wieder diese Richtung zu geben. Das heißt aber auch, uns nicht abzufinden mit den Verhältnissen in unserer Kirche, auf unserer Welt, die für solche Liebe keinen Raum lassen. Solche Liebe lässt sich nicht in den privaten Raum einsperren. Diese Liebe, diese Aufmerksamkeit für die Menschen, besonders für die Opfer, gilt es auch in die kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Prozesse einzubringen, so unvollkommen das auch nur gelingen mag. Diese Liebe ist keine bloße Privatsache, sondern hat immer weltweite Dimensionen. 

Jesus
Wenn wir die Liebe nur auf den privaten Raum begrenzen, dann amputieren wir sie. Überfordert uns das nicht? Doch wir brauchen mit dieser Liebe nicht anzufangen. Wir brauchen und können sie nicht machen. Sie ist auch nicht unsere Leistung. Sie ist zu allererst Geschenk. Die großen Sätze über die Liebe sind in einem Menschen Wirklichkeit geworden, in Jesus selbst. Wir können die Probe aufs Exempel machen, indem wir in dem Hohen Lied der Liebe das Wort „Liebe“ durch „Jesus“ ersetzen: Jesus sucht nicht seinen Vorteil, sondern den Vorteil der Menschen – das können wir an seinem Leben ablesen. Jesus trägt das Böse nicht nach. Er will Vergebung und Versöhnung bringen und die Menschen nicht auf ihre Schuld festnageln. Jesus ist langmütig mit den Menschen, mit uns. Seine Jünger, auch den Petrus, hat er bei allem Versagen nicht ausgetauscht, sondern geduldig vorbereitet für ihren Dienst. So wird er auch mit uns langmütig umgehen in allem Auf und Ab unseres Lebens. Jesus hat keine Freude am Unrecht. Deswegen nennt er es beim Namen. Er hat Freude an der Wahrheit, Wahrheit – das heißt hier leben aus den tiefsten Quellen unseres Daseins, leben aus Gottes Zuwendung zu uns. Dazu will er uns ermutigen. So können wir Stand halten in den Wirren unseres Lebens und unserer Welt.

Wir brauchen also nicht allein mit der Liebe anzufangen. Sie ist uns immer schon geschenkt und offenbar geworden in diesem Jesus. Dafür können wir dankbar sein. Das kann uns Mut machen, immer neu mit Glauben und Hoffnung in der Liebe zu beginnen und ihr die Zukunft zuzutrauen. Wir wünschen und erbitten für uns und alle Gottes Segen, seine Begleitung auf all unseren Lebenswegen. „Jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber das Größte von ihnen ist die Liebe.“ 

Gebet
Gott,
der du die Liebe bist
und uns durch Jesus 
deine Liebe offenbar gemacht
und geschenkt hast,
wir kommen zu dir
mit dem Stückwerk unserer Liebe,
das wir nur zustande bringen.

Sei langmütig mit uns und unserer Welt.
Schenke uns den Mut zur Wahrheit.
Hilf uns, das Böse in uns und in unserer Welt
zu überwinden durch die Liebe.

Dann werden wir den Vorteil für die Menschen suchen,
ihrem Leben und ihrer Zukunft dienen.
Dann werden wir selbst Zukunft finden bei dir.
Dann werden wir dich und uns selbst erkennen,
wie du uns immer schon erkannt und angenommen hast.

Lied
Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten. Als Zeichen der Liebe ist Jesus geboren, als Zeichen der Liebe für diese Welt.

Freiheit ist nicht nur ein Wort, Freiheit, das sind Worte und Taten. Als Zeichen der Freiheit ist Jesus gestorben, als Zeichen der Freiheit für diese Welt.

Hoffnung ist nicht nur ein Wort, Hoffnung, das sind Worte und Taten. Als Zeichen der Hoffnung ist Jesus lebendig, als Zeichen der Hoffnung für diese Welt.  
(Eckart Bücken)

 

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